Veränderte Mobilität in Berlin – aber A100-Planung bleibt

Die aktuellen Daten zum Mobilitätsverhalten in Berlin, welche die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt in diesem Jahr veröffentlichte, belegen, dass die Berliner immer weniger mit dem Auto in der Stadt unterwegs sind. Trotzdem wird an der Planung der Verlängerung der Stadtautobahn A100 durch dichtbesiedelte Wohnviertel festgehalten. Es ist ein einziger Widerspruch.

Die Motorisierungsrate der Berliner Bevölkerung ist mit rd. 324 Pkw/1.000 Einwohner (für das Jahr 2014) die niedrigste aller deutschen (Groß)Städte. Hingegen kommen auf je 1.000 Einwohner in der Stadt 721 Fahrräder. [1]
„Immer mehr Berlinerinnen und Berliner nutzen für ihre täglichen Wege das Fahrrad, den öffentlichen Nahverkehr oder gehen zu Fuß. Der Anteil des Autos an den von den Berlinerinnen und Berlinern zurückgelegten Wegen liegt mittlerweile bei 29,6 Prozent. Das sind über 3 Prozentpunkte weniger als bei der letzten Erhebung im Jahr 2008. Gleichzeitig haben vor allem der Radverkehr und der ÖPNV erheblich an Bedeutung gewonnen. Die Anzahl der zu Fuß zurückgelegten Wege ist auf hohem Niveau gleichgeblieben. Herauszuheben ist dabei, dass parallel zu diesen Entwicklungen in der Verkehrsmittelwahl in den Jahren von 2008 zu 2013 eine erhebliche Bevölkerungszunahme um 155.000 Einwohnerinnen und Einwohner eingetreten ist. Dies erlaubt den Schluss, dass das Wachstum der Stadt nicht zwingend einhergehen muss mit einem Wachstum an Autoverkehr.“ [2]

„In einer wachsenden Stadt wie Berlin ist es notwendig, sichere, ökologische und bezahlbare Mobilität für Alle zu schaffen. Die aktuellen Zahlen bestätigen die Verkehrspolitik des Senats. Das Land Berlin will den öffentlichen Nahverkehr stärken, die Stadt noch fahrradfreundlicher machen und den Anteil des Autoverkehrs reduzieren. Wir sind also auf einem guten Weg“, [3] sagt Christian Gaebler, Verkehrsstaatssekretär von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt.
„Durch den Bevölkerungsanstieg der letzten Jahre, allein 2014 wuchs Berlin um 45.000 Menschen, hat der Verkehr im Vergleich zur letzten Erhebung insgesamt zugenommen. Auffallend dabei ist, dass die Zahlen beim Kfz-Verkehr nur leicht gestiegen sind, wohingegen der ÖPNV 50 Prozent des Zuwachses für sich beanspruchen konnte, gefolgt vom Fußverkehr mit 25 Prozent und dem Radverkehr mit 20 Prozent.“ [3]

In Berlin haben wir nun  die Situation, dass hier in den nächsten zehn Jahren bald über vier Millionen Menschen leben werden, also über eine halbe Million mehr als bisher. Es wird Wohnraum gebraucht. Die Wohnviertel sollen verdichtet werden. Dafür sollen vorrangig bestehende Parkplätze und/oder Grünflächen genutzt werden, wie Andreas Geisel, Senator für Stadtentwicklung und Umwelt und ehemaliger Bürgermeister von Lichtenberg,  auf dem Stadtforum am 5. November 2015 erklärte. Aber schon jetzt ist es schwierig, im Wohngebiet einen Parkplatz zu finden. Die in Berlin zugelassenen Kraftfahrzeuge benötigen die Fläche von 1.740 Fußballfeldern zum Parken und würden, Stoßstange an Stoßstange aneinander gereiht, eine Schlange von 7.100 km ergeben. [1]
Die Parksituation wird sich massiv verschärfen. Beim Neubau der Wohnhäuser gibt es keine Vorgabe, Parkplätze zu schaffen:
„Kaum einer weiß, dass es in Berlin sogar beim Wohnungsneubau keine Verpflichtung mehr gibt, Stellplätze bereit zu stellen – übrigens ein Einzelfall im bundesdeutschen Baurecht.
Allerdings sah die Berliner Bauordnung bis 1997 eine Stellplatzverordnung vor, das heißt, bei jedem Neubau musste eine bestimmte Anzahl von Parkplätzen geschaffen werden. Deren ersatzlose Streichung hatte nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung keine umwelt- oder verkehrspolitischen Gründe, sondern sollte zur Entbürokratisierung beitragen.“ [4]

Obwohl laut Staatssekretär Gaebler der Anteil des Autoverkehrs in Berlin reduziert werden soll und obwohl der Zuwachs der Bevölkerung eine Verknappung der Stellplätze für Kraftfahrzeuge mit sich bringen wird, befürwortet die Koalition im Roten Rathaus den Weiterbau der Stadtautobahn A100. [5]

Mit dem 17. Bauabschnitt soll die Stadtautobahn A 100 vom Treptower Park bis zur Storkower Straße verlängert werden. Für wen? Um welchen Preis? Mit welchen fatalen Folgen?
Die Wohngebiete vom Markgrafendamm über Ostkreuz, Neue Bahnhofstraße, Gürtelstraße, Wiesenweg, Wartenbergstraße, Wilhelm-Guddorf-Straße, Frankfurter Allee, Möllendorfstraße, Parkaue und Storkower Straße werden großräumig und nachhaltig zerstört und die Lebensqualität wird in unerträglichem Maße leiden.

Noch wissen viele Anwohner, auch über die Storkower Straße hinaus, gar nicht, was auch auf sie zukommen wird. Eine unerträgliche Zunahme des Autoverkehrs bis hin zur Schönhauser Allee und darüber hinaus, Staus inklusive. Denn irgendwie muss sich der Verkehr hinter der Stadtautobahn den Weg bahnen, auflösen wird er sich nicht:
Storkower Straße, Grellstraße und Wichertstraße sind zurzeit einspurig. Auch über die Knipprodestraße – Michelangelostraße Richtung Bornholmer Straße wird es nicht besser. Die Ampelschaltung an der Greifswalder Straße lässt zurzeit nur 4 – 5 Autos  durch. Also auch hier wird es Stau ohne Ende geben.
Seitens des Senats sind keine weiteren Planungen über die Storkower Straße / Landsberger Allee hinaus angedacht.

Warum sollen Planungen von vor über 70 – 80 Jahren nun umgesetzt werden? Das ist längst nicht mehr zeitgemäß. Diese Planungen gehen am Willen der Bürger vorbei. Unsere Wohngebiete dürfen nicht zerstört werden.


 

[1] siehe „Zahlen und Fakten zum Verkehr. Wussten Sie schon…?“
(http://www.stadtentwicklung.berlin.de/verkehr/politik_planung/zahlen_fakten/wussten_sie/index.shtml abgerufen am 6.12.2015)

[2] aus „Zahlen und Fakten zum Verkehr
‚Mobilität in Städten – SrV 2013’ – Neue Mobilitätsdaten für Berlin und seine Bezirke“
(http://www.stadtentwicklung.berlin.de/verkehr/politik_planung/zahlen_fakten/mobilitaet_2013/index.shtml abgerufen am 30.11.2015)

[3] Pressemitteilung vom 17.06.2015: Immer mehr Menschen nutzen den ÖPNV und das Fahrrad.
(http://www.stadtentwicklung.berlin.de/aktuell/pressebox/archiv_volltext.shtml?arch_1506/nachricht5642.html abgerufen am 30.11.2015)

[4] Leiß, Birgit: Wohnumfeld und Autos. Auf Crashkurs. In: Berliner Mietermagazin 03/2015
(http://www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm0305/030514.htm abgerufen am 30.11.2015)

[5] siehe http://www.stadtentwicklung.berlin.de/verkehr/politik_planung/strassen_kfz/a100/de/erweiterung.shtml abgerufen am 30.11.2015

3 Gedanken zu „Veränderte Mobilität in Berlin – aber A100-Planung bleibt“

  1. Nachtrag zu der oben genannten 1. These (Quelle):
    Eine sehr gute Übersicht zum Thema zukunftsfähige Stadtverkehrsplanung gibt es bei der Landeszentrale für politische Bildung: https://www.lpb-bw.de/publikationen/forum6/forum6h.htm
    Hier beschreibt Knopflöcher die Planungsprinzipien für eine nachhaltige Stadt und die Irrtümer, die diese verhindern, zum Beispiel:

    „… 2. Der Irrglaube von der wachsenden Mobilität
    In Politiker- und auch in manchen Expertenkreisen wird nach wie vor geglaubt, daß die Mobilität ständig wächst. Diesem Irrglauben liegt ein äußerst eingeschränkter Mobilitätsbegriff zugrunde, nämlich daß Mobilität nur auf technische Verkehrssysteme und insbesondere auf das Auto bezogen sei. Dieser technische Mobilitätsbegriff ist wissenschaftlich völlig unhaltbar, weil es sich nur um einen kleinen Ausschnitt aus dem Gesamtspektrum möglicher Mobilitätsformen, zu denen Fußgeher, Radfahrer, der öffentliche Verkehr und das Auto gehören, handelt. Wenn ein Teilsystem wächst, bedeutet dies noch keineswegs, daß deshalb die Mobilität zunimmt. Es wäre ungefähr genauso logisch, wie zu sagen, wenn bei jemanden der Bauch wächst, muß deshalb auch die Körperlänge zunehmen.

    Begriff Mobilitätsrate statt wachsende Mobilität
    Versucht man Mobilität sinnvoll zu definieren, dann bietet sich dafür die Mobilitätsrate an, es ist dies die Zahl der Wege pro Person und Tag, unabhängig von der Art des Verkehrsmittels. Diese Mobilitätsrate ändert sich nun nicht durch technische Verkehrssysteme. Wenn daher die Zahl der Wege mit dem Auto wächst, dann muß in gleichem Ausmaß die Zahl der Wege mit allen anderen Verkehrsmitteln, also die Zahl der Fußgeher, der Radfahrer und der Benutzer des öffentlichen Verkehrs abnehmen. Es kann daher niemand mehr von einer wachsenden Mobilität reden, es sei denn, er nimmt in Kauf, daß er sich fachlich blamiert. Der Erkenntnisweg, der zur fundierten Analyse dieses Systems in dieser Richtung geführt hat, zeigt außerdem, wodurch die Mobilität beeinflußt wird. Es wurde dabei festgestellt, daß mit dem Angebot an Radwegen, der Anteil der Radfahrten unter vergleichbaren Bedingungen deutlich zunimmt. …“

  2. 1. Entgegen aller Behauptungen (des Verkehrsministeriums) wird der Verkehr bzw. die Verkehrsbelastung nicht weniger, wenn wir größere Straßen bauen. Auch wenn man eventuell für einige Jahre an anderer Stelle für Entlastung sorgen kann, so induzieren große Verkehrsbauwerke den Verkehr ja selbst. Quelle:
    2. Berlin will – eigentliche – in die andere Richtung. Es gibt seit 2018 das Mobilitätsgesetz, das den Vorrang für den Umweltverbund festschreibt. Es gibt das Berliner Energie- und Klimaschutzkonzept 2030 (BEK2030), das für 2030 einen Anteil des „Motorisierten Individual Verkehrs“ (MIV) von maximal 17.5% anstrebt. Und es gibt noch dazu die Notwendigkeiten, die die Klimakrise uns aufgibt.
    3. Wenn man also verkehrlich, klimatisch und stadtökologisch vorausschauende Planung betreiben möchte, dann darf man nicht heute Bauwerke planen, die man zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung gar nicht mehr brauchen darf.
    4. Und man darf nicht mehr die Fahrzeugkapazität zugrunde legen, sondern muss zu einer Veränderung der Planungsgrundlagen dahingehend kommen, dass man Personen- und Gütertransportkapazität zugrunde legt, mit der man vor allem eine Steuerungswirkung entfalten möchte. Wir können nicht mehr Autoverkehr als eine Art Naturereignis ansehen, dem man einfach irgendwie hinterher planen muss.

    1. Quelle, z.B. „Tunnellösung“: http://www.stadttunnel.eu/experten.htm
      Die Tunnellösung entspricht weder der Auffassung des Gesamtverkehrskonzeptes für Feldkirch, ein zukunftsorientiertes Verkehrssystem zu entwickeln, noch einem zeitgemäßen Verständnis der Systemwirkungen von Verkehr und Siedlung. Die Tunnellösung scheint aus einer Gedankenstruktur zu resultieren, die davon ausgeht, man könne den motorisierten Individualverkehr – im Gegensatz zu den Zielsetzungen des Gesamtverkehrskonzeptes – in seiner Eigendynamik in keiner Art und Weise beeinflussen, sondern lediglich durch weiteren Ausbau befriedigen. Die Tunnellösung widerspricht daher den Zielsetzungen sowohl des Gesamtverkehrskonzeptes wie auch aller externen Zielsetzungen, nämlich der Reduktion von CO2, der zunehmenden Unabhängigkeit des Verkehrssystems vom externen Energieaufwand, sowie der Schonung der Ressourcen. Außerdem bewirkt die Tunnellösung eine massive Erweiterung der Mobilitätsmöglichkeiten für den motorisierten Individualverkehr, erhöht die Geschwindigkeiten, vergrößert die Kapazität im System und hat gemessen am Aufwand nahezu unverhältnismäßig geringe Wirkungen auf den Bestand. 
      Die rechnerischen Auswirkungen der Tunnellösung auf den Bestand unter Berücksichtigung des dadurch generierten Verkehrs sind nicht nachvollziehbar dargestellt. Allein aufgrund des Angebotes zusätzlicher Verkehrsflächen, dem im Gesamtverkehrskonzept ausgewiesenen Geschwindigkeitsregimes und einer Abschätzung von Verkehrsmengen und Mobilitätsaufwand widerspricht daher diese Variante den Zielen zukunftsorientierter Verkehrsorganisation wegen des erhöhten Energieaufwandes, der CO2 Emissionen und der Außenwirkungen. Die Grundüberlegung dieser Variante besteht in der überholten Auffassung, man müsse zunächst den Autoverkehr optimal befriedigen, bevor man einschränkende Maßnahmen ergreifen könne – einer längst im städtischen Gebiet überholten Auffassung, resultierend aus der seinerzeit falschen Ausbildung der Verkehrsplaner, man könne durch zusätzliche Angebote an Fahrbahnen Verkehrsprobleme lösen. Die Realität beweist das Gegenteil. Zusätzliche Angebote für attraktive Verkehrsverbindungen führen zwangsläufig zu zunehmendem Aufkommen an motorisiertem Individualverkehr im System.

      Em. O. Univ. Prof. DI Dr. Hermann Knoflacher zum Stadttunnel Feldkirch

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