Während der 16. Bauabschnitt der Berliner Stadtautobahn A100 erst vor wenigen Monaten eröffnet wurde, wirft der geplante 17. Bauabschnitt bereits seine Schatten voraus. In der Beermannstraße formiert sich nun neuer Widerstand: Die Bewohner der Häuser 16 und 18 haben in Zusammenabeit mit dem Aktionsbündnis „A100 stoppen!“ eine Mieterinitiative gegründet. Ihr Ziel: Den Abriss ihrer Häuser verhindern und den Verlust von bezahlbarem Wohnraum stoppen.
Die Wunden in der Beermannstraße sind tief. Wo einst bezahlbarer Wohnraum für fast 100 Mietparteien bestand, donnert seit dem 27. August 2025 der Verkehr über die A100. Für den bereits fertiggestellten 16. Bauabschnitt (von Neukölln bis Treptower Park) wurden die Häuser Beermannstraße 20 und 22 vollständig abgerissen. Auch die Häuser 16 und 18 waren ursprünglich vom Abriss bedroht. Durch Klagen von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen vor dem Bundesverwaltungsgericht konnte jedoch erreicht werden, dass diese Gebäude erhalten blieben – ihr Abriss droht nun erst beim Bau des 17. Bauabschnitts. Diese Geschichte ist ein eindringliches Lehrstück für politische Ignoranz gegenüber gewachsenen Nachbarschaften und sozialen Strukturen. Ein Schicksal, das sich für die verbliebenen Häuser 16 und 18 auf keinen Fall wiederholen darf.
Die aktuelle Bedrohung: Wohnraum als „Logistikfläche“?
Der geplante 17. Bauabschnitt soll vom Treptower Park bis zur Storkower Straße führen. Die Kosten für das Gesamtprojekt (16. und 17. Bauabschnitt der A100) sind auf mindestens 1,8 Milliarden Euro explodiert. Die Planungen für den neuen Abschnitt laufen bereits:
- Seit 2023: Grobplanung der Trasse.
- Ab 2025: Beginn der technischen Detailplanung.
- Ab 2027: Erwarteter Start des Planfeststellungsverfahrens.
Die Häuser Beermannstraße 16 und 18 liegen mitten auf der geplanten Autobahntrasse. Besonders skandalös: Es besteht der Verdacht, dass die Grundstücke der Häuser 16 und 18 eventuell gar nicht dauerhaft für die Fahrbahnen der Autobahn selbst, sondern lediglich als temporäre Fläche für die Baustelleneinrichtung oder als Lagerplatz für Baumaterial benötigt werden. „Es ist unerträglich, dass Menschen ihr Zuhause verlieren sollen, damit dort Material gelagert werden kann“, kritisiert die neu gegründete Mieterinitiative.

Widerstand statt Verdrängung
Die neu gegründete Initiative will nicht tatenlos zusehen. Unterstützt durch das Aktionsbündnis A100 stoppen vernetzen sich die Bewohner, um frühzeitig Druck auf die Politik auszuüben. Auch die betroffene Wohnungsgenossenschaft hat bereits signalisiert, dass sie sich gegen eine drohende Enteignung juristisch zur Wehr setzen will.
Doch die Erfahrung zeigt: Während Genossenschaften für den Verlust ihrer Immobilien entschädigt werden, kämpfen die Mieter oft an vorderster Front allein um Umzugshilfen und Mietausgleiche. „Wir müssen uns jetzt organisieren, bevor die Bagger anrollen“, heißt es aus der Initiative.
Vernünftige Verkehrspolitik statt Autobahn-Wahn
Die Argumente gegen den Ausbau sind heute drängender denn je. In Zeiten akuter Wohnungsnot ist die Vernichtung von bezahlbarem Wohnraum ein politischer Skandal. Letztlich stellt die Politik die Weichen, ob Menschen das Auto und damit die A100 nutzen müssen, oder ob endlich eine echte Alternative geschaffen wird. Anstatt Milliarden in Beton zu gießen, muss das Geld in einen leistungsfähigen, zuverlässigen, sicheren und schnellen ÖPNV fließen.
Auf der für die A100 geplanten Fläche von 72 Hektar könnten stattdessen rund 8.800 Wohnungen für 22.000 Menschen entstehen – inklusive Schulen und Kulturräumen (Studie des ium-Instituts: „Wohnen statt Autobahn“). Die Mieter der Beermannstraße 16 und 18 kämpfen somit nicht nur für ihre eigenen vier Wände, sondern für eine zukunftsfähige Stadtplanung, die Menschen vor Autobahnen stellt.
Rückblick: Was mit der Beermannstraße 20 und 22 geschah
Um zu verstehen, warum der Widerstand heute so entschlossen ist, muss man die bittere Geschichte der Häuser 20 und 22 kennen. Diese Häuser waren nicht die einzigen Bedrohten: Ursprünglich sollten auch die Häuser 16 und 18 für den 16. A100-Bauabschnitt abgerissen werden, was durch Klagen von Gegnern des Autobahnbaus, darunter Umweltverbände, Bezirke und Bürgerinitiativen, vor dem Bundesverwaltungsgericht verhindert werden konnte.
Eine detaillierte Dokumentation dazu findet sich in unserer Rubrik Beermannstraße.
1. Die Häuser und der Wohnraum
- Bestand: Es handelte sich um zwei Häuser (Nr. 20 und 22), die aus mehreren Gebäudeteilen mit insgesamt fünf Aufgängen bestanden.
- Wohnvernichtung: Rund 90 bis 100 preiswerte Wohneinheiten wurden zerstört.
- Mietniveau: Die Kaltmieten lagen im Durchschnitt bei ca. 4,20 €/m². Viele Bewohner lebten dort seit Jahrzehnten.
2. Der Prozess vor dem Bundesverwaltungsgericht und das Urteil
- 2012: Mehrere Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss für den 16. Bauabschnitt der A100 vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt.
- 10. Oktober 2012: Urteil (Az. 9 A 10.11 u. a.) weist Klagen größtenteils ab und bestätigt den Bau der A100 nach Treptow. Allerdings Verpflichtung zu einem Neubeschluss über den Lärmschutz in bestimmten Bereichen; aktiver Schallschutz (z. B. Schallschutzwände) muss priorisiert werden.
- Teilerfolg: Planung angepasst – Westrampe der Anschlussstelle Am Treptower Park um ca. 30 Meter nach Osten verschoben. Abriss der Häuser Beermannstraße 16 und 18 für den 16. Bauabschnitt verhindert, Lärmschutz verbessert.
3. Chronologie der Verdrängung und des Abrisses
- 2009: Erste Bekanntgabe, dass die Häuser dem 16. Bauabschnitt weichen sollen.
- Ende 2013: Alle verbliebenen Mieter erhielten die Kündigung ihrer Mietverträge.
- 2014: Massiver Widerstand, Mahnwachen und Hoffeste durch die Mieter und das Aktionsbündnis A100 stoppen
- Februar 2015: Erlass des „Besitzeinweisungsbeschlusses“. Die letzten sechs Mietparteien mussten unter erheblichem psychischem Druck ihre Wohnungen räumen.
- September 2015: Vollzug des Abrisses.
- 27. August 2025: Eröffnung des 16. Bauabschnitts auf der ehemaligen Grundfläche der Häuser.
4. Das juristische Nachspiel und die verweigerte Entschädigung
- Das Versprechen: Ursprünglich wurde den Mietern eine Entschädigung für die Differenz zur neuen, teureren Miete für bis zu 16 Jahre zugesagt.
- Der Rechtsstreit: Das Bundesverkehrsministerium klagte gegen diese Entschädigungszahlungen.
- Das Urteil (Januar 2020): Das Berliner Verwaltungsgericht entschied gegen die Mieter. Da die Mietverhältnisse 2015 „regulär“ gekündigt worden seien, bestehe kein Anspruch auf Entschädigung (Bericht zum Urteil). Die Betroffenen blieben auf ihren Mehrkosten sitzen.
Dieser Fall ist uns eine Warnung: Wir werden nicht zulassen, dass sich die Geschichte in der Beermannstraße 16 und 18 wiederholt!



























